Nitrosativer Stress

Stickstoffmonoxid (NO)

In Analogie zum oxidativen Stress, bei dem freie Sauerstoff-Radikale das Gleichgewicht im Körper zugunsten Oxidationsfördernder Prozesse verschieben, spricht man bei der überschießenden Bildung des Radikals Stickstoffmonoxid (NO) und seiner Folgeprodukte Peroxinitrit, Nitrotyrosin und Nitrophenylessigsäure von nitrosativem Stress.

Die Bildung von NO erfolgt durch das Enzym NO-Synthetase aus L-Arginin. Als Nebenprodukt dieser Reaktion entstehen Citrullin und Wasser. NO wirkt vasodilatierend (gefäßerweiternd) und sorgt damit für eine vermehrte Durchblutung des Gewebes. NO wird in vier verschiedene Formen und Funktionen unterteilt.

nach Dr. W. Kersten

nNO
Das neuronale NOS wird in den Nervenzellen gebildet und löst die Sekretion von Glutamat im präsynaptischen Spalt aus. Dadurch wird der neuronale Impuls weitergeleitet.

eNO
Das endotheliale NOS befindet sich im inneren der Blutgefäße und wirkt gefäßerweiternd (vasodilatierend). Es sorgt für eine verbesserte Durchblutung der Bronchien und des Gewebes und senkt auch den pulmonalen (Lunge) Gefäßwiderstand.

iNO
Die induzierbare NOS befindet sich in Zellen des Immunsystems (z.B. Makrophagen, neutrophile Granulozyten). Dieses NO wirkt zytotoxisch und dient der Abwehr und Eliminierung von Bakterien, Viren und Krebszellen. Die NO-Synthese wird ausgelöst durch Endotoxine und Zytokine wie INF-y und TNF-a sowie durch verschiedene Medikamente und Fremdstoffe.

mNO
Das durch die mitochondriale NOS gebildete NO reguliert den mitochondrialen Stoffwechsel für Zell-Synthese, Proliferation (Zellbildung), Apoptose (Zelltod) sowie den Sauerstoffverbrauch.

NO spielt ferner eine wichtige Rolle als Radikalfänger. In physiologischer Konzentration verhindert NO die Lipidperoxidation, hemmt die Thrombozytenaggregation und erhöht die Insulinsensibilität.

Der Stickoxid/Peroxinitrit-Zyklus [1]

iNOS: induzierbare NO-Synthese
nNOS: neuronale NO-Synthese
eNOS: endotheliale NO-Synthese
NFkB: Nuklearer Faktor kappa B

Auswirkungen erhöhter NO-Synthese

Verschiedene Stressoren können eine erhöhte NO-Synthese mit Bildung von NO und Stickoxiden auslösen, die sich sehr negativ auf die Funktionsfähigkeit der Organe und Organsysteme auswirken können. Intitiiert wird diese Reaktion vor allem durch Entzündungsreaktionen. Dabei stimulieren proinflammatorische Zytokine (IL1ß, IL6, IL8, TNF-a, IFN-y) die zelluläre Immunantwort, Die vermehrt aktivierten Makrophagen und Leukozyten erhöhen die NO-Synthese über die iNOS (induzierbares NO).

Hohe Mengen an NO hemmen Enzyme der mitochondrialen Atmungskette. Hierdurch kommt es zu einem ATP-Verlust, der vor allem Zellen mit einem hohen Energiebedarf betrifft wie neuronale Zellen, die Muskulatur, Herzmuskel und Zellen des Immunsystems. Infolge des Energiemangels kommt es zu einem Anstieg der intrazellulären Calcium-Konzentration, der durch nitrosativen Stress verstärkt wird. Ein dauerhaft erhöhter Calciumgehalt führt schließlich zum Funktionsverlust und Absterben der Nervenzelle.

Pathomechanismen chronisch entzündlicher Erkrankungen [2]


Quelle: IMD Berlin

Ursachen für Nitrosativen Stress

  • Toxische Belastung mit diversen Umweltgiften und Chemikalien (Schwermetalle, Insektizide, Pestizide, Lösemittel, Lebensmittelzusätze, Konservierungsstoffe von Fleisch und Wurstwaren etc.)
  • Raumluft-Schadstoffe: Formaldehyd, Benzaldehyde, Benzole
  • Nanopartikel
  • Schwermetalle
  • Hypoxie
  • Infektionen, Impfungen, Entzündungen
  • Physische Traumata, bes. im Bereich des Halses und Kopfes
  • Schwere psychische Traumatisierungen
  • Elektrosmog
  • Chronische Entzündungen
  • UV-Strahlung
  • Älterwerden
  • Vererbung

„Man sollte sich bewusst sein, dass die …Verstärkungsfaktoren, so zum Beispiel ein einfacher Infekt, aber auch jede Form von intensiver geistig-seelischer Belastung (Psychostress), den nitrosativen Stress ganz massiv verstärken kann. Bei Virusinfekten stellt man eine bis zu 30-fache Verstärkung der krankhaft vermehrten Bildung von Stickoxid und Peroynitrit fest.“
Dr. W. Kersten

Verstärker von nitrosativem Stress

  • starke geistige und körperliche Belastung
  • Chronischer Stess, Psychostress
  • Nitratreiche Ernährung (geräucherte Nahrungsmittel, mit Kunstdünger belastete Nahrungsmittel)
  • vitaminarme Ernährungsweisen, vegetarische/vegane Kost
  • Medikamente (Antibiotika, Zytostatika, Statine, Nitrate, Potenzmittel, Arginin, Herzmittel wie Enalapril etc.)
  • Nikotin, Drogen
  • Instabilität der HWS
  • Kohlehydratreiche Ernährung
  • Bewegungsmangel
  • Starke körperliche Belastung/Leistungssport
  • Trockenmilch
  • Blatt- und Wurzelgemüse

Die erhöhte Stickoxidbildung: Ursache und Auswirkung [3]


zelluläre Hypoxie = Sauerstoffmangel in den Zellen

NO und der Energiestoffwechsel

Pathologisch erhöhte NO-Konzentrationen lösen ein chronisches Energiedefizit aus. Aminosäure, Fette und Eiweiß können nicht mehr energetisch verwertet werden. Der Citratzyklus bildet die zentrale Schaltstelle des gesamten Stoffwechsels, in dem aus Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen letztlich ATP entsteht. Hohe NO-Mengen hemmen diesen Prozess, so dass nicht mehr genügend ATP gebildet werden kann. Zusätzliche Stoffwechselbeschleunigungen wie z.B. körperlich/geistiger Stress, Infektionen oder kohlenhydratreiche Ernährung steigern die NO-Synthese um ein Vielfaches mit der Folge eines extrem hohen Energiedefizits.

NO und Glutathionstofwechsel

Erhöhte NO-Mengen haben negative Auswirkungen auf das Entgiftungssystem. Es kommt zu einer Aktivitätseisnchränkung von Katalasen sowie Cytochrom-P450-Enzymen, wodurch die ATP-abhängige Glutathionbildung vermindert ist. Dadurch können sich toxische Metabolite wie Oxy-LDL oder Homocystein anhäufen.

NO und Cholesterinstoffwechsel

Erhöhte NO-Mengen blockieren die Umwandlung von Cholesterin zu Gallensäuren. Gallensäuremangel führt zu einer gestörten Fettverdauung (Maldigestion) mit erhöhter Stuhlfrequenz mit der Folge einer gestörten Steroihormonsynthese.

NO und Vitamin B 12-Mangel

Vitamin B 12 ist ein bedeutender NO-Fänger. Bei Vitamin B-12-Mangel kommt es zu erhöhtem Homocystein, das einen kardiovaskulären Risikofaktor darstellt und auch im Zusammenhang mit Demenzerkrankungen steht. Vitamin B 12 ist ferner am Citratzyklus beteiligt. Wenn dieser Stoffwechselweg gehemmt ist, kommt es zur vermehrten Ausscheidung von Methylmalonsäure. Die Konsequenz für den Citratzyklus beteht u.a. in einer starken Beeinträchtigung der Fettsäurensynthese.

Die indirekte Folge des nitrosativen Stresses ist ein vermehrter Verbrauch von Vitamin B 12, der als NO-Fänger fungiert und zu einem Vitamin B12-Mangel führt.

Das NO-Folgeprodukt Peroxinitrit

  • Die durch den NO-Überschuss augelösten pathogenen Mechanismen werden durch das nitrosative Folgeprodukt Peroxinitrit potenziert. Peroxinitrit geht aus der Verbindung von Stickoxid und Superoxid hervor, wodurch nitrosativer und oxidativer Stress miteinander in Verbindung stehen. Superoxide können Zellstrukturen irreversibel zerstören.
  • Peroxinitrit besitzt ein hohes Redoxpotential, ist hochtoxisch und reagiert aggressiver als alle Vorläufermoleküle. Die Auswirkung schlägt sich vor allem in einem chronischen Energiemangel durch Senkung der ATP-Bildung nieder. Peroxinitrit hemmt Enzyme der mitochondrialen Atmungskette (Cytochrom-C-Oxidase und die mitochondriale Mn-Superoxiddismutase (SOD) und des Citratzyklus und zerstört darüber hinaus die Struktur der Mitochondrienmembran irreparabel.
  • Peroxinitrit ist ebenso ein starkes Oxidanz, fördert die Lipidperoxidation und oxidiert die SH-Gruppen von Cystein, Methionin, Glutathion, Vitamin C, Harnsäure, Cholesterin.

Weitere Folgen des nitrosativen Stresses

  • NO erhöht die Entzündungsbereitschaft durch Aktivierung der Cyclooxygenase-Enzyme (COX-Enzyme, Enzyme der Prostaglandinsynthese). Die vermehrt freigesetzten Zytokine wiederum steigern die NO-Synthese. Es entsteht ein Circulus vitiosus. Betroffen sind vor allem Gelenke, Wirbelsäule und Haut.
  • NO erhöht die Histaminbildung. Histamin wiederum kann die NO-Synthese steigern. Beides hat eine erhöhte Permeabilität (Durchlässigkeit) der Blut-Hirnschranke zur Folge.
  • Peroxinitrit besitzt eine starke Bindung zu Aminosäuren, insbesondere Tryptophan und Tyrosin. Dies wirkt sich negativ aus und betrifft vor allem die Neurotransmitter- und Hormonsynthese.
  • Tryptophan ist Ausgangssubstanz für die Serotonin- und Melatoninsynthese. Serotonin ist ein wichtiger Neurotransmitter, der den Gemütszustand steuert, wirkt Stimmung aufhellend, entspannend und schmerzhemmend.
  • Serotonin bewirkt darüber hinaus eine Gefäßverengung in Lunge und Niere, in der Skelettmuskulatur eine Gefäßerweiterung, es regt die Darmperistaltik an und fördert als Bestandteil der Thrombozyten die Blutgerinnung.
  • Melatonin ist maßgeblich an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt. Außerdem ist Melatonin ein Radikalfänger.
  • Die Aminosäure Tyrosin ist Ausgangssubstanz für Katecholamine wie Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin. Durch die Nitrolysierung von Tyrosin und der Bildung von Nitrotyrosin wird die Biosynthese der Katecholamine und des Thyroxins mit weitreichenden Folgen beeinträchtigt.
  • Adrenalin und Noradrenalin steigern Blutdruck und Herzfrequenz. Dopamin reguliert die Durchblutung der inneren Organe (vor allem Niere) und es beeinflusst die Motorik der Bewegungsabläufe und des Muskeltonus.
  • Thyroxin (T4) wird in der Schilddrüse aus Tyrosin-Untereinheiten gebildet und in das wichtigere T3 umgewandelt. Tyrosin ist darüber hinaus Vorläufer des Hautpigments Melanin.
  • Peroxinitrit führt zu einer Aktivierung von NF-kB und damit zu einer proinflammatorischen Stoffwechsellage. Hier entsteht der sogenannte Circulos vitiosus, der zur weiteren Aktivierung der NO-Produktion führt.

Schädigungen durch den Stickoxid/Peroxinitrit-Zyklus

  • Hemmung der mitochondrialen Atmungskette
  • Beeinträchtigung des Citratzyklus durch Hemmung des Enzyms Aconitase
  • Aktivierung der Glutamat-Rezeptoren
  • Permeabilitätsstörung (Durchlässigkeit) der Blut-Hirnschranke
  • Hemmung des Entgiftungsystems
  • Induktion der Lipidperoxidation
  • Aktvierung der Cyclooxygenase
  • Stimulation des Nukleären Faktors kappa B (NF-kB)

Entstehung von Stoffwechseldefiziten

  • Vitamin B 12-Mangel
  • Cholesterinerhöhung
  • Eingeschränkte Steroidhormonsynthese
  • Verminderte Bildung der Schilddrüsenhormone
  • Störung der Hämsynthese
  • Störung der Neurotransmittersynthese
  • Störung der Melatonin und Melaninbildung

Nitrosativer Stress: Funktionsstörungen und Symptome

1. Störung der Energiegewinnung

  • Chronische Müdigkeit
  • Erschöpfung
  • Starker Leistungsabfall

2. Verstärkte Aktivierung der Glutamatrezeptoren

  • Konzentrationsstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Migräne

3. Aktivitätseinschränkung der Entgiftungsenzyme

  • Ausgeprägte Infektanfälligkeit und Allergieneigung
  • Atemwegserkrankungen
  • Kreislaufstörungen
  • Erkrankungen des Verdauungstraktes
  • Neurologische Erkrankungen

4. Stimulation proinflammatorischer Zytokine durch Nuleären Faktor kappa B
(
NFkB)

  • erhöhte Entzündungsbereitschaft der Organe
  • Hohe Neigung zu viralen und bakteriellen Infekten

5. Induktion der Lipidperoxidation

  • Arteriosklerose

6. Aktivierung der COX-Enzyme

  • chronische Entzündung
  • insbesondere der Gelenke und Wirbelsäule

7. Nitrolysierung von Proteinen 

Gestörter Tryptophanmetabolismus:

  • Depression
  • Angstzustände
  • Schlafstörungen
  • Anstieg der Schmerzschwelle

Gestörter Tyrosinstoffwechsel:

  • Schilddrüsenunterfunktion
  • Hypotonie
  • Durchblutungsstörungen
  • Malabsorption
  • Parkinsonähnliche Symptome
  • Pigmentstörungen der Haut

8. Vitamin B 12-Mangel

  • Anämie
  • Parästhesien
  • Gangunsicherheit
  • Verwirrung
  • Gedächtnisstörungen
  • Psychosen
  • Glossitis
  • Gastritis
  • Obstipation
  • Herzkranzgefäßerkrankungen

9. Cholesterinämie

  • Arteriosklerose
  • Fettstühle
  • Vermehrte Gallensteinbildung
  • Verminderte Sexualhormonbildung

Labor

im Urin:

Tyrosin, Citrullin, Methylmalonsäure, Nitrophenylessigsäure

oder im Blut:

Nitrotyrosin

Quellen:
[1] Ganzimmun Labor: Nitrosativer Stress, Fachbroschüre
[2] IMD Labor: Modifiziert nach M.L. Pall, Explaining „Unexplained Illnesses“
[3] Ganzimmun Labor: dto.
[4] Kuklinski, B.: Mitochondrien – Symptome, Diagnose und Therapie, 2015

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